In der Nacht von Sonntag auf Montag feiern wir gleich zwei Ereignisse:
Bergfest und ein Flirt mit Neuseeland.
Es war allerdings eine harte Nacht. Wir waren vorbereitet, aber schön
geht dann doch anders. Am gestrigen Nachmittag war es nach vier Tagen an
der Zeit, eine neue Wettervorhersage einzuholen. Und wie nicht ganz
selten sollten sich gegenüber der alten Prognose einige Änderungen
ergeben. Statt der bisher vorhergesagten 17 Knoten Wind auf der gesamten
Strecke gab uns die Glaskugel des französischen Wetterdienstes nun bis
20 Knoten an. Es sollte schon in der Nacht beginnen. Nun begibt es sich
so, dass man nach unserer Erfahrung gut und gern fünf Knoten aufschlagen
kann. Aus welchen Gründen auch immer liegen die Windvorhersagen um
diesen Wert unter der später erlebten Realität. Wir sind also wie immer
vorsichtig und nehmen Alytes ins zweite Reff. Nicht dass sie das bei 25
Knoten Wind bräuchte. Aber der Wind schickt schon jetzt Wellen voraus.
Sie treffen uns querab und das Boot ist deutlich angenehmer, wenn es in
so einer Welle dank hohem Segeldruch auch noch kopflastig wird.
Wie schon in den letzten Tagen ist der Himmel bewölkt. Nicht so sehr wie
der deutsche, formlose Grauschleier. Eher so als wären die
Schäfchenwolken zusammengerückt um sich vor einem drohenden Wolkenwolf
zu schützen. Wir sehen also noch die Konturen vieler kleiner Wolken, das
Licht scheint tagsüber hell daran entlang. Aber die Sonne sehen wir
nicht und bevor der Mond aufgeht, ist die Nacht bei diesem Himmel
rabenschwarz.
Der Wind frischt gegen 01:00 Uhr weiter auf und dreht nach Süd. Uns
drückt er damit nach Nord. Nord? Im Norden lauert just zu dieser Zeit,
mitten in einem leeren, weiten Pazifik ein kleines Stückchen Neuseeland
auf uns. So zeigts’s die Karte. Natürlich nicht die Mutterinseln. Ein
kleines Atoll mit dem schonen Namen Palmerston Island. Keine sechsl
Meilen lang ist es. Und keine sechs Meilen nördlich. Murphy’s Law. Auf
See gilt es doppelt und dreifach. Das wird schlagartig klar, als die
erste von fünf Squalls – das sind kleine, sehr wind und regenreiche
Wolkensysteme – von der Seite anrückt. Es drückt uns noch weiter nach
Nord. Mit nun 28 Knoten Wind, also guter Windstärke sechs. Dazu sendet
es eine Windsee, die sich mit dem langen Schwell zu recht hohen Wellen
auftürmt. Noch brechen sie nur sehr vereinzelt, aber wir wollen sie
nicht von der Seite nehmen und so drehen wir weiter nach Nord. Weiter
auf Neuseeland zu. Der Regen kommt für uns Südseesegler kalt und in
großen Mengen. Wie ein begossener Pudel stehe ich am Ruder und versuche
so viel Süd wie möglich u machen. Also alle Segel neu einstellen, von
einem achterlichen Raumschotkurs auf einen Amwindkurs. Arbeit, die man
sich morgens um eins und hundemüde gerne spart. Alytes dreht weg von
Palmerston, mit dem Bug in den Wind. Der Wind ihrer acht bis neun Knoten
Fahrt addiert sich zu den 26 der Squall. Es wird ziemlich rauh, da wir
nun die Welle von schräg vorn nehmen. Der Baum knarzt, die Wellen
schlagen zwischen den Rümpfen ein und heben den Salonboden mit einem
düsteren krachen merklich an. Dank der eng genommenen und früh gerefften
Segel bleibt Alytes aber gut steuerbar. Wie auf Schienen stellt sie sich
der Prügel und nach einer halben Stunde haben wir die Squall hinter uns.
Die nächste wartet schon. Schnell den Kurs weiter korrigiert, um aus der
Reihe der oft in Linie ziehenden Wolkensysteme auszubrechen. Es gelingt.
Die nächsten treffen uns nur noch mit ihren Randgebieten oder senden
einige Knoten Wind, ohne uns zu durchnässen. Und Neuseeland haben wir im
Zwielicht des hinter der Schäfchenherde versteckten Vollmondes in
Sichtweite passiert.
Kurze Wehmut, dass wir das „Mutterland“ mit den Freunden von der OM,
weit im Südwesten, wegen unseres engen Zeitplans (jaja, zwei Jahre sind
verdammt knapp) auf dieser Reise nicht besuchen können.
Ein Blick auf die Log zeigt aber auch, dass wir nun über 650 Seemeilen
geschafft haben. Wir sind – auch wegen des starken Windes – deutlich
schneller voran gekommen als geplant. Wenn wir weiter so fahren, werden
wir vermutlich schon am Donnerstag ankommen. Ein Tag eher als geplant.
Keine schlechte Entwicklung.
An Bord ist sonst alles prima. Mina liest und hört sich durch die
Bordbibliothek (die eine schwere Schlagseite in Richtung
Kinderlieteratur hat). Heute wird sie in Mathe und Englisch nur mündlich
geplagt. Schnellrechnen und Sachaufgaben im Kopf lösen. Bei der Welle
will man keinem Menschen zumuten, auf ein engbedrucktes Blatt zu
starren, um sich kurz darauf das Frühstück nochmal durch den Kopf gehen
zu lassen.
Wir freuen uns aber riesig auf die Buckelwale von Tonga!
Viele Grüße von Position 18°13.704’S und 163°45.585’W (um 21:50 UTC)
Bücher:
Patrick O’Brian: Desolation Island
Musik: Percussion from Tahiti and Polynesia, Fritzes Ukulele-Lektionen
(schmerzhaft ;-)).