Schicksalsschläge 2.0: Wo die Natur beweist, dass wir gar nichts sind und eine Handvoll Menschen zeigt, dass wir alles können. Alles in einem kleinen, rauen Paradies.
Seamus lauscht für einen Moment dem leisen Klopfen, das für Kokospalmen das Rauschen der Blätter bedeutet. Die harten Wedel reiben ihre Rippen im leichten Wind. Er ist so irisch, wie die anderen Westafrikaner, die die Briten als Sklaven vor über 250 Jahren in die Karibik brachten.
Fast greifbar erstreckt sich im Tal vor ihm ein grauer Strom aus staubiger Asche.
Vor 20 Jahren war er über die Felder seiner Farm gelaufen. Zwischen den hier Dasheen genannten Taos, mit saftigen Blättern und nussigen Wurzeln. Die Ernte war gut. Seine Pflanzen in bestem Zustand, auch wenn er sie nicht im Wasser zog, sondern nur in feuchter Erde.
Hinter ihm das ruhige Widerkäuen seiner Kühe. Weiter oben am Hang eine kleine Ziegenherde. Er war jetzt fünfzig. Hatte hart gearbeitet und ein besseres Leben aufgebaut. Besser als seine Cousins, die auf den Baumwollplantagen gegen Lohn arbeiten. Besser als sein Vater, der früh unter der Arbeit der rassistischen Kolonialherren seiner Zeit zusammengebrochen war. Noch ein paar Jahre, und er würde die Farm an seinen Sohn übergeben. Vorher wollte er noch ein Gästehaus bauen. Er war Maurer und Tischler.
Heute Abend würde er zusammen mit Phil, Cecil und den Jungs im Lizard’s wieder flüstern und Träume von der Unabhängigkeit träumen. Wieso Antigua, wieso St. Kitts und nicht Montserrat? Sie hatten genug Landwirtschaft um sich zu ernähren, sie hatten Baumwolle für Devisen und Cecil war mit seinem Hotel einer der reichsten Leute auf der Insel. Mehr Hotels würden folgen. Das war klar. Das Geld der Briten senden sie jedes Jahr zurück. Das brauchen und wollen sie nicht. Soll sich der Gouverneur doch nutzlos fühlen.
Die Kinder rennen den Hügel zur Farm hinauf. Zwei Töchter und ein Sohn. Sie kommen gemeinsam von der Schule in Plymouth. Aber sie lachen nicht. Sie schreien und rufen. Der Berg rumort lauter und unten, in Plymouth läuten die Glocken. Alle.
Die Kinder werden von einem Polizei-Pickup überholt. Durch den Lautsprecher plärrt die ohnehin schon unangenehme Stimme vom Constable. Alle müssen raus. In zwei Stunden müssen alle im Norden, hinter dem Zentralgebirge, in Deckung gehen. Der Soufriere bricht aus.
Mit Tränen in den Augen sieht Seamus, wie der westliche Teil seiner Farm unter Asche begraben wird. Sein Haus steht noch. Er darf sogar dorthin zurück. Für weitere zwei Jahre pflegen sie das Haus. Dann, 1997 noch ein Ausbruch. Diesmal hatten sie Pech. Einer seiner Brüder wurde in einem Tal eingeschlossen und mit achtzehn Männern unter der Asche erstickt.
Seamus lebte nun in provisorischen Bretterbuden der Regierung. Er hätte das besser gebaut. Er wusste, wie man karibische Häuser baut. Doch es gab keine Zeit. Fast zwei Drittel der Bevölkerung brauchte eine neue Bleibe. Praktisch alle Schulen waren zerstört. Das gesamte Farmland unter Asche begraben. Zu Essen gab es Reis, Dosenfrüchte und Ölsardienen. Es hat sie satt gemacht, aber es war ein Graus, im Vergleich zu Dasheens, frischen Mangos, Bananen und dem Gemüse aus dem Garten.
Seine Frau würde nach England gehen. Mit den Kindern, damit sie eine gute Bildung bekommen würden. Mehr als die Hälfte seiner Nachbarn und Freunde würden folgen. Die Träume aus dem Lizard‘s waren unter Staub erstickt. Wie das Vue Pointe Hotel und wie seine Dasheens.
Die Tiere hatte er noch frei gelassen. Zusammen mit anderen waren sie jetzt die größte Wildtierherde – Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe – der Karibik. Ein schwacher Trost. Hin und wieder jagen sie Schweine in den Bergen.
Für jeden Penny der Briten waren sie nun dankbar.
Und Seamus machte das, was er schon immer gemacht hat: Neu anfangen. Häuser bauen. Und Taxi fahren, für die wenigen Touristen, die noch nach Montserrat kommen.
Er fuhr sie durch die „Exclusion Zone“. Am Anfang hatte er noch ein Kloß im Hals. Und eine Wut im Bauch. Wie sie mit glänzenden Augen die Geisterstädte ansahen. Wie sie den „morbiden Charme“ priesen. Als wären sie in Disneyland. Sie stolperten mit Ihren Turnschuhen – jedes Paar so teuer wie zwei Monatsgehälter – über die Asche seiner Dasheens. Nur um nachher auf Ihre weißen Boote zurückzukehren und ein Cocktail auf die großartigen Erlebnisse und das Elend der Welt zu trinken. Zum Glück konnten sie mit der Borddusche noch die Asche von den Schuhen spülen. Bitte keine Flecken an Deck.
Aber er hatte sich daran gewöhnt. Sie zahlten gutes Geld. Harte US-Dollars. 100 für vier Stunden fahren mit dem Auto. Manche haben sich interessiert. Die fuhr er dann zu den schöneren Flecken. Näher an die alte Hauptstadt. Mit einem Bein in der verbotenen „Zone V“.
Vielleicht auch zu dem Schildkrötenstrand und zu den Projekten, die die Insel wieder nach vorn bringen sollen. Er erzählt dann von den Wahlen, davon dass der alte Premier die 5.400 Leute nicht gut geführt hat und das der neue, junge es endlich besser machen wird. Ein Tiefwasserhafen für Kreuzfahrtschiffe, mehr Fährverbindungen und keine unsinnigen Projekte, auf Sand gebaut. Er erzählt dann über Politik und wie in einem Inseldorf, das ein wenig Staat spielt, im Kleinen alles genau so läuft in Europa im Großen. Menschen halt.
Manche haben die wunderschöne Insel verstanden. Schroff und grün und fruchtbar. Und trotz der Bedrohung durch den Vulkan das schönste Stück Heimat, was man haben kann. Überhaupt. Der Vulkan. Bedrohlich aber auch großartig. Schroff und karg spuckt er heiße Wolken über den blauen Himmel, die sich mit dem Passat mischen. An Land einzigartige, endemische Echsen, Pelikane die sich in der Bucht ins Wasser stürzen. Kolonien von Fregattvögeln. Und Landschaft wie aus dem Bilderbuch.
Sie haben verstanden, was noch zu tun war. Das wir auch nach 20 Jahren kein Ziel erreicht haben. Und das er, Seamus, das alles nicht mehr erleben würde. Er hat eine Basis aufgebaut. Die Asche ist fruchtbar. Die Ernte würden andere, nach ihm einfahren. Hoffentlich verbocken die es nicht.
Seamus macht sich auf zur Abendmesse in der St. Patricks-Church. So irisch, wie ein Mann der Karibik nur sein kann.
Auf dem Meer sieht er, weit unten und klein, ein Katamaran Richtung Norden segeln.
Hallo ihr drei,
hoffen es geht Euch gut!
Fritz der Artikel ist das Beste was ich seit Monaten zu lesen bekommen habe!
Grüße von der ANNE
Lieber Stefan,
ganz herzlichen Dank für das wohlwollende Feedback.
Mann, die Atmosphäre auf der Insel ist aber auch seltsam. Aber im ganzen ein schöner Ort. Nicht so gut wie Dominica, aber weit besser als St. Eustasius, was durch die vielen Tanker vollkommen verdorben ist.
Der Ankerplatz ist leider nur in wirklich speziellen Umständen nutzbar (sehr wenig wind, bitte kein Grad Nord).
Euch weiterhin eine großartige Reise,
herzliche Grüße auch von Mina an Neele (hoffentlich schreibt man das so ;-)).
Fair winds,
Fritze
Lieber Fritze,
wie schön Du es beschrieben hast. Ich werde es noch einige Male lesen.
Meine NWZ tritt völlig in den Hintergrund.
Lieber Fritze,
sehr schön. Du gibst uns das Gefühl, wir wären auch dort gewesen. Mir sind Schauer übergelaufen. Und lass uns teilhaben an dem, was Ihr seht, mit den Augen, die Du gerade weit geöffnet hattest für das, was dahinter liegt.
Gute Reise für das kleine Schiff auf dem Weg nach Norden!
Thomas