„After forty days without a fish the boy’s parents had told him that the old man was now definitly and finally salao, which is the worst form of unlucky“
– Ernest Hemingway, The Old Man and the Sea
Lang wollten wir die Wahrheit über unsere Angelergebnisse verschweigen. Immer hoffend, dass ein großer Fang die sich mit jedem Tag vergrößernde Schmach aufheben, ja vergessen machen würde. Nun müssen wir unser Schweigen brechen.
Die Geschichte beginnt bei Seil-Manns, einem familiär geführten Yachtausstatter im Zentrum von Düsseldorf. Mir ist er sehr ans Herz gewachsen, da die Manns nicht nur hervorragende Beratung bei Tauen und Ausrüstung bieten, sondern auch eine recht stattliche Ecke mit allerlei Artikeln für den Angelsport bereit halten. Der Senior-Inhaber ist zudem ein passionierter Angler.
Für unsere Alytes hat er liebevoll eine vollständige Angelausrüstung zusammengestellt. Mit dem ruhigen Geist des Profis und dem heißen Herz des Fanatikers. So kamen wir zu einer hochwertigen Trolling-Rute samt Rolle, Leine und Ködern. Dazu eine Wurfangel für die Liegeplätze. Köder, Gewichte, alles. Selten habe ich mich so gut ausgerüstet gefühlt.
Die Ware wurde uns nach Torrevieja gesendet. Auf der Überfahrt zwischen Marokko und Spanien war sie also nicht im Einsatz. In der Marina von Torrevieja ist – wie in so vielen Häfen – das Angeln verboten. Also sahen wir nur hin und wieder mit Sehnsucht auf die schimmernen Ruten und die glitzernden Köder. Verstohlen prüften wir zwischen unseren Händen die herausragende Kraft der Dyneema – Leinen.
Endlich ging es los. Aber das Mittelmeer ist weitgehend leergefischt. So waren wir nicht überrascht, dass sich kein Fisch von unseren wohlgeformten, farbenprächtigen Oktopoden anlocken ließ.
Wir nutzten die Zeit in den Marinas, um die Ausrüstung etwas abzurunden. Hier noch ein Wobbler, dort noch eine Angelhalterung für unser Boot. Denn bisher hatten wir die Ruten einfach an die Reling gebunden.
Erst als wir in ernsthaftere Gewässer gerieten, im Mare Alboran, hatten wir den ersten Biß. Mit deutlichem Schnarren meldete sich die Angel. Die Bremse war recht leicht eingestellt, der Fisch machte sofort richtig Meter. Ich rannte zur Angel und umklammerte sie mit beiden Händen.
Ein Monster riß am anderen Ende. Schweiß. Ich drehte umsichtig die Bremse fester. Ganz wie der weise Herr Manns es empfohlen hatte. Die Angel bog sich erheblich durch. Wir waren unter Segeln und konnten kaum Fahrt aus dem Boot nehmen. So zog Alytes mit sechs Knoten. Ich dazu mit aller Kraft. Der Leviathan am Haken raste weiter in entgegengesetzter Richtung. Schnarren. Ruhe. Reißen und Schnarren. Ich erinnerte mich an die letzten Erfolge vor Jahren. Kein Fisch, den wir ins Boot gezogen hatten, war jemals so stark.
Und selten war ich so unvorbereitet. Denn den „Fish-Gin“ für die milde Betäubung hatten wir noch nicht gekauft und die Gaff, ein gebogener Haken zum Anlanden des Fangs, lag unter Deck. Da hatten wir sie zum Verschieben unserer Proviantkisten verwendet. Ich ließ die Angel also los, um sie zu holen. Sie steckte ja sicher im Angelhalter. Und dann kann der Schock. Der Angelhalter dreht sich aus seiner fast vertikalen Posotion mit einem Ruck in die Waagerechte. Wie in Zeitlupe fliegt die Angel horizontal in die rauhe See. Mit Mühe unterdrücke ich den Instinkt, hinterherzuhechten. So sehe ich mit Wut und Trauer, wie das ganze Herzblut von Herrn Manns und eine größere Scheibe unseres Monatsbudets unter den Wellen verschwinden. Ein großer Fisch wird seine Artgenossen jetzt mit einem außerordentlich komplexen Piercing beeindrucken. Ich bleibe fassungslos zurück. Auch den Impuls die Angelhalterung mit unserem Flaggenmast zu zerstören bekomme ich gerade noch in den Griff.
Bei dem Glück würde ich mich wohl eher selbst verletzen.
Das nächste Invest wird kleiner. Zu einem Zehntel des Preises der alten Ausrüstung kaufe ich demütig neue Rute und neue Rolle. Leine haben wir noch aus Düsseldorf. Angel ins Wasser und schon am nächsten Tag schnarrt die Angel los. Ein Wunder, dass wir es hören. Halter und Angel sind unter einem dicken Bündel „Sicherungsleinen“ vergraben. Die sollen den Angelhalter senkrecht halten und die Angel mit dem Boot verbinden. Ich renne wieder hin.
Der Fisch ist kleiner. Aber die neue Rolle ist von so geringer Qualität, dass es trotzdem zu echter Arbeit wir, das Tier näher zu bekommen. Dazu muss ich noch am Knäul der Sicherung vorbeidrehen.
Aber plötzlich springt sie über die Wellen. Schimmernd und golden wie ein Barren aus den Kellern der Bundesbank. Eine Goldmakrele (oder Mahi Mahi, Dorada, Dolphin) zappelt und kämpft am Haken. Ich ziehe und kurble. Bald ist sie am Boot. Ein wunderschöner Fisch. Das Licht der Elfuhrsonne bricht sich metallen an ihren großen Schuppen. Wir sehen uns in die Augen.
Mina will den inzwischen gekauften Gin bringen. Ein weiteres Zappeln. Sie ist weg. Nach erstem Frust auch ein wenig Erleichterung. Denn das Tier war wunderschön. OK. Diese Makrelen sind auch die Creme dessen, was das Meer so zu bieten hat; kulinarisch gesehen. Als ich mich umdrehe, versuchen die die beiden Frauen ein feines Lächeln herunterzuschlucken. Eher Mitleid als Hohn. Sagen sie.
Auf La Gomera liegt neben uns ein Hochseefischerboot. Als wir anlegen wechselt ein Bild von einem Kerl gerade einhändig das Teakdeck aus. Über ihm ragen fünf Meter Downrigger in den Himmel. Neben ihm der „Fighting-Chair“. Er lässt erahnen, wie dieser langhaarige, blonde Hüne tagein tagaus die Schwertfische an Bord holt. Seine vier Gaffs sind je zwei Meter lang. Die Haken mit Streben verstärkt.
Am dritten Tag überwinde ich mich, ihn anzusprechen. Vorher im Stillen noch ein paar Liegestütze gemacht. Es stellt sich heraus, dass er ein verdammt netter Kerl ist. Ein reicher Brite hat sich das Boot gekauft. Der Hüne ist Teil des Equipments und lebt auf Standby. Ruft der Brite an, geht der Mann mit ihm oder seinen Gästen angeln. Hält den Wahoo-Rekord auf Gomera. Ja und er hat auch schon über unsere Angeln gelacht. Still.
Er verrät mir in den nächsten Stunden seine besten Tricks (oder besser: er zeigt mir die absoluten Basics, die ich als „Fishing-Noob“ offenbar ignorant missachtet hatte). Fortan wird, wenn wir über ihn sprechen, nur noch ER gesagt. In hörbaren Versalien. So wie in der Bibel über den HERRN gesprochen wird.
Noch konnten wir nicht all SEINE Hinweise umsetzen, da es auf Gomera keinen vernünftigen Angelladen gibt. Ok, einer SEINER Tipps war: „Kaufet nichts auf Gomera, denn die Qualität ist des Teufels“.
Aber wir bringen nun immer zwei Leinen aus. Eine an der Angel, eine einfach an die Reling gebunden. Die Angel ist aber optimiert. Nach SEINEN Vorgaben.
Aber gebissen wird beim nächsten Mal an der Relingschnur. Wir bemerken kaum das leise Klack. Und schon ist die Leine durch. Das Lächeln der Frauen wird etwas breiter. Mitleid. Ziemlich unerträglich.
Der Jäger in mir lächelt auch. Mir selbst kann ich es ja sagen: Hohn. Im Wald ist schon das eine oder andere Stück Wild entkommen. Aber zumindest nimmt einem der Zwölfender nicht auch noch die Waffe ab, wenn man vorbeigeschossen hat. Ich bekomme Zweifel. An allem.
Die finale, ultimate Erniedrigung erfolgt in zwei Schritten. Wir haben eine weitere Angel. ER hat uns gesagt wie wir es machen sollen. So sollte es sein. Die Leinen sind über Gummibänder „downgeriggt“, die Köder liegen optimal im Wasser. Die Wobbler wobbeln mit den auf dem Verpackungstext versprochenen „aggressiven Klappern und unwiderstehlichen Zappeln“.
Zwischen Gran Canaria und Lanzarote meldet sich die Steuerbordangel wieder. Ich liege gerade im Salon und döse. Aufspringen. Die Gaff liegt griffbereit. Der Fish-Gin ist in eine Spritzpistole umgegossen. Wie von IHM empfohlen. Wir können die Gegner nun aus zwei Meter Entfernung besoffen machen. Minas Kescher ist ebenfalls bereit. Ah. Über dem Fang kreist schon eine Raubmöwe. Eine Andere sitzt im Wasser. Aber irgendwas stimmt nicht. Der Vogel im Wasser bewegt sich seitlich auf uns zu. Irgendwie unnatürlich. Und immer wenn ich nicht mehr kurble, sitzt er still oder flattert herum. Ich drehe also wieder. Wieder gleitet die Möwe auf uns zu. Nach zwei Minuten haben wir sie an Bord, die Leine hat sich in einigen Federn der großen Handschwinge verknotet. Das Tier hat Federn, keine Schuppen. Einenen Schnabel und eine Lunge. Mist.
Das Helfersyndrom siegt: Ich schlage ihm nicht aus Frust den Kopf ab um sein Blut zu trinken sondern befreie ihn vorsichtig. Eine fürsorgliche Untersuchung der Schwinge folgt. Nichts ist gebrochen und mit Minas Hilfe setzte ich ihn auf unser Bimini. Ein paar Brocken Brot sollten suggerieren, dass er hier nicht gefressen wird. Etwas Wasser soll auch helfen.
Erinnerungen an die zahlreichen Meisen, Drosseln und Tauben, die schmerzhafte Bekanntschaft mit unseren Fenstern gemacht hatten kommen hoch. Immer Wasser geben, war die Strategie. Vermutlich nur eine hilflose geste, denn in unserer Familie gab es keine Vogelkundler. Und Veterinäre schon gar nicht. Einige Tiere haben es geschafft, einige nicht.
Die Möwe saß bedröppelt da. Irgendeine klare Flüssigkeit tropfte aus ihrer Nase auf unsere Solarzellen. Vogelgrippe oder nur Trauer über die eigene Dummheit? Wir werden es nie erfahren. Denn nach 30 Minuten hob sie den Kopf, gähnte, drückte einen beeindruckenden Strahl Vogelkacke aus der Kloake und flog auf. Noch eine Runde um das Boot und sie war für immer verschwunden.
Heides und Minas Lächeln war nun von verstohlenem Kichern begleitet. Kichern aus Mitleid?
Am nächsten Tag sollten wir den ersten Fisch an Bord haben und die Erniedigung würde perfekt sein. Im Hafen muss eine Babysardine auf der Flucht vor einem Räuber auf die untere Stufe unseres Steuerbordrumpfes gesprungen und dort verendet sein. Da lag das kleine Fischchen nun und sah mir, dem als großen Jäger der Meere angetretenen Angler aus toten Augen bis in die kleingehackte Seele.
Wir haben noch zwei Wochen in Arrecife. Die Angeln liegen so da. Glanz kann ich keinen mehr sehen. Aber alles wird gut. Vielleicht.
Hallo liebe Seglercrew Mina,+Eltern Heide& Fritze. Bevor ihr zu Eurer großen
Atlantiküberquerung aufbrecht, möchte ich Euch alles Gute und immer die notwendige handbreit Wasser unter den zwei Kielen wünschen. Denkt daran, unterwegs gibt es ein „Hochgebirge“ den Mittelatlatischen Rücken (MAR). Als eingespieltes Team und mit Minas theoretischer Unterstützung , werdet ihr die Karibik wohlbehalten erreichen. Lasst die Bullaugen beim Herd geöffnet,dann landen die fliegenden Fische direkt in der Pfanne und ihr erspart euch das angeln. Ich versuche die Route auf meinem iPad zu verfolgen. Lb. Fritze vielleicht kannst Du ja meine ,durch die Smileys missglückten Teilbeiträge löschen??? Bis demnächst von meinem iPad Euer Manfred
Hallo lieber Manfred,
vielen Dank für Deine kreative Hartnäckigkeit!
Aber ich bin natürlich auf die (smileyfreien) Texte ganz gespannt!
Herzliche Grüße auch von Margot,
Fritze
Großartiger Artikel! Und schön zu lesen, dass alles beim Alten ist 😉
Übrigens: Wenn es mit Möwen klappt, klappt es bestimmt auch mit fliegenden Fischen.
Wunderbar! Ich kenne nur wenige, die ihre Schmach so schön in Worte packen!
Und ehrlich, ich hab Dich schon auf La Gomera für Dein Durchhaltevermögen und Deine an den Tag gelegte Kreativität beim Modifizieren des Werkzeugs bewundert.
Dein Tag kommt noch, da bin ich mir ganz ganz sicher!! Und natürlich wird alles gut werden…
Entschuldigung. Aber ist zum Totlachen 🙂
Und mal im Ernst – wer kann schon Möwen angeln?
Jaja, wer den Schaden hat ;-).
Ich habe mittlerweile herausgefunden, dass es nicht wirklich eine Möwe sondern ein Gelbschnabelsturmtaucher war. Streng geschützt. Die fängt man noch seltener. Zum Glück haben wir ihn nicht als Möwe verspeist sondern – den sportlichen Catch and Release Regeln folgend – aufgepäppelt und fliegen lassen.
Herzliche Grüße,
Fritze