„There is not a minute to be lost!“
– Jack Aubery on catching the tide
Nach den Tagen mit Matthias im Wakatobi Nationalpark segeln wir weiter in Richtung Flores und den Komodo Nationalpark. Uns erwarten die gesuchten Drachen. Aber auch zahme Rehe, Schweinchen und eine Affenbucht.
Der Wecker klingelt früh am Morgen, an diesem Tag 21. November. Heute geht Matthias Flug gen Bali und wir müssen mit der kenternden Flut den Gezeitenstrom der einsetzenden Ebbe erwischen. Nach kurzem Frühstück verabschieden wir Matthias und ich bringe ihn zur Küste. Schnell muss es zurück zu Alytes denn wir müssen bei Flut über das Riff vor der Stadt und wir sollten möglichst viel von der Gezeitenströmung ausnutzen, um aus der großen Bucht von Wangi-Wangi gespült zu werden. Gegenan kann uns das sonst über einen Knoten Fahrt kosten. Wir schaffen es und setzen die Segel gen Südwest. Unser Ziel ist der Komodo Nationalpark. Wie durch ein Wunder kommt Wind auf und alles, was wir und unsere Besucher in den letzten Wochen vermisst haben – segeln – ist plötzlich möglich. Mit bis zu sieben Knoten gleiten wir über eine recht glatte Banda-See gen Flores. Die Überfahrt ist weitgehend entspannt. Hin und wieder ein Fischerboot, hin und wieder ein „Fish Aggregation Device“. Dank billiger LED/Solartechnologie sind vor allem die Hochseevarianten dieser kleinen künstlichen Inseln mittlerweile alle beleuchtet und auch in der Nacht gut sichtbar.
Am 23.11.2015 kommen wir gegen Mittag auf Gili Bodo an. Die Insel wird nur von einer Horde Makaken bewohnt. Es ist Ebbe und wir kommen nicht nah an den Strand, da er von einem Riff blockiert wird. Aber aus dem Dingi können wir die Tiere beim Krabben- und Muschelsammeln auf dem Riff beobachten. Zu zweit oder auch allein laufen sie flink und aufgeweckt über die Korallen und zupfen mal hier mal da einen kleinen Snack aus den Ritzen. Wir fahren zurück und erholen uns erstmal von dem Wachrhythmus. Da es außer den Makaken nicht viel gibt auf Gili Bodo, wollen wir gleich am nächsten Tag nach Sebayur weitersegeln. Dort locken uns schöne Tauchgründe und ein italienisches Resort, dass gute Pizza anbieten soll. Mina ist schon ganz hibbelig bei dem Gedanken.
Wir ankern in einer kleinen Bucht im schmalen Kanal zwischen Sebayur und der kleinen Schwester Sebayur Kecil. Die Inseln sind hier, im Gegensatz zu den bisher im Norden besuchten, sehr trocken. Braun, Ocker und Karstweiß sind die vorherrschenden Farben oberhalb des tiefblauen Wassers.
Im Kanal setzt je nach Tide ein Strom von ein bis drei Knoten, aber der Ankerplatz ist außerhalb dieser Kräfte gelegen. Für unseren 20 PS-motorisierten Fawkes wären auch acht Knoten Strom kein Problem. Zum Glück. Denn zur Pizza müssen wir durch den Kanal.
Das Sebayur Resort ist ein echtes Stück italienischer Gastfreundschaft mitten der trockenen Inselwüste Südindonesien. Liebevoll gemacht und mit eben diesem italienischen Spirit. Sehr offene, freundliche Leute. Es ist gut von Tauchern aus Europa besucht. Alle sind entspannt und nett, mit dem einen oder anderen palavern wir über Tauchen, Segeln und Europa. Wir bleiben einige Tage, um uns von der Köchin verwöhnen zu lassen. Heide geht Tauchen während ich mit Mina Schule mache und dann ein wenig am Strand spiele. Ein schöner Tag, so im Resort. Richtige Sucht entwickeln wir aber nicht, denn Alytes ruft und wir wollen zu den Drachen!
Wir setzen am 26.11. die Segel zur rechten Zeit um die Strömung zu erwischen und gleiten nach Komodo. Auch diese Insel ist braun und trocken. Nur die Tamarindenbäume trotzen dem Klima und bilden grüne Inseln in der großen Bräune.
Bei der Suche nach dem Ankerplatz kommt uns ein Boot sehr nahe. Die Jungs meinen, wir müssten zu ihren Bojen. Wir lehnen dankend ab. Sie wollen aber trotzdem. Nun ja, wir fahren einfach weiter und suchen uns einen guten Platz direkt vor dem Strand. Recht nah bei den Gebäuden der Parkverwaltung und ganz allein. Allein, nein, nicht wirklich. Noch während wir den Anker einfahren, kommen etwa sieben Boote angeheizt. Schwimmende Souveniershops. Da sie während wir noch im Manöver schon die Flossen an unsere Heck haben, Leinen festmachen wollen und mit dem halben Bein schon an Bord sind, gibt es einen kleinen Disput mit dem Skipper. Was uns fehlt sind angeschrammte Bordwände und eine Leine im Propeller während wir den Anker mit 2.000 Umdrehungen einfahren. Sie weichen zügig zurück. Es ist ja auch sinnlos die zu verärgern, denen man noch was verkaufen will.
Es gibt hauptsächlich Nippes. Sie beschwören, dass die Drachenzähne und -krallen echt sein. Aber selbst so ausgewiesene Reptilien-Noobs wie wir sehen, dass das eher nach mäßig geschnitzten Kuhhörnern aussieht. Die Preise sind horrend. Das einzige Dorf auf Komodo ist doch ein wenig von den Kreuzfahrtschiffen beeinflusst, die hier in der Hochsaison ankommen. Da momentan nicht viel los ist, müssen sie härter arbeiten, um die Waren an den Mann zu bringen. Bestes Verkaufsargument: „Please, for me!“ Andere haben dagegen Humor und wir quatschen gute zwanzig Minuten, feilschen ein wenig und tauschen uns über die Strömungsverhältnisse aus. Wir bitten sie, nach unserem Besuch im Park wiederzukommen und richten uns auf eine Nacht unter sternklarem Himmel ein.
Mina ruft bei sinkender Sonne: „Da bewegt sich was am Strand“. Heide hat nochmal nachgesehen: Die Drachen können auch schwimmen… Wir müssen mal sehen, was da los ist. Im fahlen Zwielicht tatsächlich Bewegungen. Klar, Mina hat von uns allen die besten Augen. Aber was für ein seltsamer Drache. Der hat doch einen Rüssel. Einen Schweinerüssel! Und tatsächlich: Am Strand sind ein paar Wildschweine auf der Suche nach Muscheln. Und unter einigen Tamarinden-Bäumen liegen drei Stück Rehwild. Leise wünsche ich mir meine Sauer 303. Die Distanz stimmt und Schwein hatten wir schon Monate nicht mehr. Aber man kann nicht alles haben. Nach einem gepflegten Sundowner fallen wir in die Betten und träumen von Drachen.
Gleich am frühen Morgen heizen wir mit Fawkes rüber zum Park. Der scheint sich besonders anzustrengen. Hatte doch einer der Männer gestern gemeint, dass wir mit DEM Boot wohl mindestens eine halbe Stunde bräuchten. Fawkes macht die Strecke in etwas über fünf Minuten.
Der Park ist gut organisiert. Wir zahlen den Eintritt und ein freundlicher, gut englisch sprechender Guide kommt mit langem, gegabeltem Stab auf uns zu. Er wird uns auf einer etwa eineinhalbstündigen Führung begleiten.
Trotz des frühen Morgens ist es schon erstaunlich heiß als wir losziehen. Wir entfernen uns von der Ranger-Station und wandern über ein vertrocknetes Bachbett. Im Uferstaub sehen wir die ersten Spuren. Eine Schleifspur in der Mitte, große, kräftige Klauenabdrücke außen. Der Guide schaut sich sehr aufmerksam um. Wir schlucken heimlich ein wenig (und trocken). Unter einem der Büsche raschelt es. Eine Bewegung. Etwas reckt sich uns entgegen. Eine furchterregende… Wildschweinnase. Die sind hier sehr zahm, da die Menschen sie seit vielen Jahren nicht mehr jagen. Mit erleichterter Enttäuschung laufen wir weiter. Wir laufen in einen eher trockenen, lockeren Wald. Hier und da ein Busch, ansonsten wenig Unterholz. Ich bin nicht ganz unglücklich: Aus der Sicht der Beute (für die wir uns halten) ist der Durchblick nicht gerade von Nachteil.
Es geht um eine kleine Baumgruppe und da liegt das erste Exemplar. Staubig, riesig und … entspannt. Er sieht uns aus kleinen Augen an. Die Zwanzigzentimeter-Zunge sammelt Proben der von unserem Adrenalin schwangeren Luft. Ansonsten keine Bewegung in dem Tier. Nur der Kopf folgt sehr bedächtig der einen oder anderen Bewegung. Etwas unter drei Meter Echse liegen da vor uns. Atmet, sabbert ein wenig und lässt die Zunge züngeln. Doch, der ist schon beeindruckend. Oder besser sie, wie uns der Guide aufklärt. Er schlägt gleich vor, doch ein paar Fotos mit ihr zu machen. Wir verschieben das lieber auf später.
Vorsichtig gehen wir weiter und finden auf der Strecke neben weiteren Echsen noch viele Ihrer Futtertiere. Eine sehr hübsche lokale Rehsorte und einige Wildschweine tummeln sich. Wir erfahren, dass die Echsen meist unter den Büschen in der Nähe der Wasserstellen regungslos ausharren. Wenn sich ein unbedarftes Beutetier nähert, beißen sie kräftig zu. Oft in die Beine. Das führt zu Knochenbrüchen und tiefen Fleischwunden. Der Speichel der Drachen enthält ein potentes Bakteriencocktail und dazu noch ein eigenes Gift. Spätestens nach drei Tagen, in denen der Jäger seine Beute aus der Entfernung beschattet um keinem Abstauber das Feld zu überlassen, verendet die Beute und es geht ans große Fressen. Kleinere Tiere werden oft auch beim ersten Angriff tödlich getroffen und direkt verspeist.
Einer der Drachen sieht besonders satt aus. Ihm tropft der Speichel aus dem Mund, davor hängt noch eine Feder, die vor einigen Minuten offenbar noch ein Huhn geschmückt hat. Der Drache ist groß, das Huhn sicher nur ein Amuse Gueule.
Der letzte Angriff auf einen „nicht-Guide“ ist etwa fünf Jahre her. Einige Kinder des Dorfes spielten am Strand „Verstecken-Fangen“ und haben in der Hitze des Gefechtes die Gefahr durch die Drachen vergessen. Ein siebenjähriger Junge wollte sich hinter einem Stein verstecken ohne zu bemerken, dass dort schon jemand lag. Der Drache hat ihm in kürzester Zeit offenbar den größeren Teil der Innereien genommen. Das Kind hatte keine Chance und starb noch vor Ort.
OK, wir bleiben am Nachmittag an Bord.