You are innocent, when you dream
-Tom Waits
Wir haben ein optimales Wetterfenster erwischt und auch die Strömung ist ideal auf dem von uns geplanten Kurs. Alytes segelt auf einem fast wellenlosen Pazifik unter unserem wunderbaren Genaker mit 6 – 8 Knoten dahin. Wir brauchen knapp sechs Tage bis San Cristobal.
Leise zischelnd zieht der Pazifik in mondheller Nacht unter Alytes durch. Die Borduhr zeigt 23:00 Uhr. Noch eine Stunde bis zur Wachablösung. Leise knackend und gurrend ziehen zwei Seemöwen um unseren Mast. Sie jagen die durch unser Licht angelockten Tintenfische, holen sie immer wieder mit dem Schnabel bei voller Geschwindigkeit aus dem Wasser. Der Mond wirft vom Horizont einen glitzernden Streifen über die kleinen Wellen und taucht Alytes in fahlgelbweißes Licht.
Tom Waits erzählt von traurigen Barkeeperinnen, New Orleans und Singapur. Der alte Halunke hat mich verführt. Gerade genieße ich, wie sich ein Zug eines Davidoff-Zigarillos (gibt es höchstens alle drei Monate) mit einem Schluck Flor de Cana (ein wirklich brauchbarer Rum aus Nicaragua) vermischt. Vollkommen verboten auf der Wache, aber wie gesagt, der Halunke hat mich verführt. Bin dem Rauschen der See und seinem kratzigen Palaver erlegen.
In Gedanken zurück zu unser Fahrt seit „Las Playitas“ auf der Pazifikseite von Panama. Direkt vor der Skyline von Panama City.
Wir haben den Anker gelichtet, nachdem wir ein improvisiertes Ersatzteil über dem Steuerbord-Luftansaugstutzen montiert hatten. Dieses 50 cm x 45 cm Plastikteil hatte uns die forsche See zwischen Kolumbien und San Blas abgerissen und das Ersatzteilmanagement von Lagoon ist leider eine Katastrophe.
Trotz dreiwöchigem Vorlauf, vielen Versprechungen und einer Anzahlung von 650 Euro konnte Roberto, der italienische Geschäftsführer von „Andromeda Global Yates“ das Teil nicht in der Zeit besorgen. Als er dann am Tag der Abreise telefonisch plötzlich mit Sätzen wie „this is not Germany, this is South America“ und „Manana“ begann, dachte ich, es wäre Zeit südamerikanisch zu reagieren.
Wie wir gelernt hatten, bedeutet „Manana“ in Südamerika nicht morgen, sondern schlichtweg nur „nicht heute“. Meine (meist eher anekdotisch gesammelte) Erfahrung war, dass es ihm helfen könnte sich seiner europäischen Verbindlichkeit zu erinnern, wenn wir die Sachlage konkretisierten. Erlebbar machten. Devirtualisierten.
Wir wollten die Theorie praktisch ausprobieren. Vielleicht würde er dann liefern können. Oder seine Schulden bei uns begleichen.
So stattete ich zusammen mit dem spanisch sprechenden argentinischen Nebenerwerbsleibwächter Esteban (der im Übrigen ein ganz sanfter Geselle ist) Roberto einen Überraschungsbesuch in seinem Büro ab. Seiner Sekretärin logen wir vor, wir hätten einen Termin. Und schon saßen wir ihm gegenüber. Nicht verwunderlich war, dass er hinter sich eine Videokamera installiert hatte, die jeden Gesprächspartner aufzeichnete. Wir waren wohl nicht die Einzigen mit Reklamationen.
Trotzdem war er recht angespannt, ob seines Kunden, der da plötzlich vor ihm stand. Wir hatten schon den ersten Punkt gemacht. Er begann mit Ausflüchten. Wir unterbrachen freundlich und fragten nach der klaren Auskunft, ob er den wisse, ob die Teile überhaupt in Panama angekommen seien. Er checkte seine Mails. In meinem radebrechenden italienisch konnte ich – dank seines Macho-Fernseher-Screens – gut lesen, dass der Versender nicht versendet hatte, da Robertos Kreditkarte nicht gedeckt war.
Nicht das erste Mal dankte ich meiner alten Lateinlehrerin für die brüchige Basis romanischer Sprachen. Er ging davon aus, dass wir es nicht verstanden hatten. Aber wir wollten ihn noch nicht zur Rede stellen, uns das kleine Bisschen Informationsvorsprung für einen späteren Schlagaustausch aufbewahren. So kamen von ihm weitere Ausflüchte. Er wolle klären, wann genau das Teil in Panama sein könnte. In einer Stunde sollten wir zurückkommen.
Gesagt getan. Wir kamen zurück. Er hatte eine Mail ausgedruckt, auf der der Versand der Waren bestätigt wurde. Von einer Französin auf Italienisch. Die Schriftarten in der Mail passten nicht. Eine klare Fälschung. „You can now clearly see, I did what I could!“
Ich erinnerte ihn daran, dass es für uns vollkommen irrelevant war, wann versendet wurde. Einzig zählte, wann geliefert würde und dass die Ware heute (eine Woche verspätet) ankommen müsse. Wenn nicht, wollen wir die Anzahlung zurück. Sehr schnell sagte Roberto: Oh, kein Problem. „I will issue a cheque“.
Die Antwort in Südamerika konnte nur lauten: „I prefer efectivo.“. Er machte einen sehr, sehr grauen Eindruck. Bitte noch zwei Stunden. Dann hätte er das Geld. Esteban und ich trennten uns. Er ging mit Lucas Material besorgen, mit dem wir das Ersatzteil nachbauen könnten. Ich aß etwas zu Mittag und trank Kaffee.
Vorsorglich hatte ich zusammen mit Esteban einige panamaische Rechtsanwälte gegoogelt. Beth Grey von Grey & Co. Sie würde uns beraten. Virtuell, falls es hart auf hart käme. Dass sie davon nichts wüsste, schien uns zum Zeitpunkt nebensächlich. Als ich nach zwei Stunden allein zu Roberto ging, war er nicht da. Seine Sekretärin meinte, die Quittung sei noch nicht fertig und wenn ich aber in einer Stunde zurückkäme, wäre das Geld da und alles läge bereit.
Mit ausgesucht freundlicher Stimme sagte ich ihr, dass wir leider wirklich los müssten. Der Wind. Termine auf Galapagos. Aber das wäre kein Problem. Das Büro Grey & Co. würde die Angelegenheit mit Freude auch in unserer Abwesenheit lösen und das Geld treuhänderisch entgegennehmen. Sie würden heute in zwei Stunden zum ersten Mal persönlich anklopfen. Falls es aber möglich sei, würde ich in zehn Minuten wiederkommen, um abschließend das Bargeld abzuholen. Sie war nun so grau wie ihr Boss.
Ich ging aus dem Büro, trank unten ein Espresso und ging wieder hoch. Siehe da: Das Geld war da, die Quittung auch. Ich steckte alles ein und sprang ins Dingi, mit dem wir gemeinsam zuvor in die Marina gefahren waren. Success.
Die Jungs waren ebenfalls erfolgreich. Sie brachten eine große Scheibe Plexiglas, die wir zersägten und über dem Grill auf die richtige, gebogene Form brachten.
Zum Glück hatte sich Lucas an seinen Chemielehrer und dessen Vortrag zu thermoplastischen Eigenschaften von Plexiglas erinnert. Der erste Versuch endete leider in den Wellen, der zweite ziert nun unsere gepimpte Alytes. Welcher Katamaran kann schon mit transparenten Lufteinlassabdeckungen aufwarten? Wir sahen uns zufrieden die McGyver-Lösung an.
Dieses Gefühl, als Crew erfolgreich improvisiert zu haben, mischt sich nun in die gemütliche Wohligkeit aus milder Nacht, Vollmond, Tabak und Rum. Den Motor brauchten wir bis dahin nur, um aus der windstillen Bucht zu fahren. Mit fünf Knoten durch das riesige Ankerfeld vor dem Kanal. Der Pazifik war recht trüb, so viel Plankton trieb in Schlieren durch das Wasser. Plötzlich sichten wir Flossen im Wasser. Viele davon. Langsam zogen für die nächsten Stunden hunderte von kleinen Adlerrochen an uns vorbei. Beim „Flügelschlag“ zeigten sich die Flossenspitzen an der spiegelblanken Wasseroberfläche. Ein magischer Moment.
Später am Tag kam Wind auf. Und mit der Unterstützung der Strömung segelten wir bei zehn Knoten Wind von 110° mit über sieben Knoten auf direktem Kurs nach Galapagos. Einen Tag später erwischten wir noch eine Flaute. Aber nach etwa fünfzehn Stunden Motorfahrt ging es ununterbrochen unter Segeln weiter. Genaker oder Parasailor. Selten unter fünfeinhalb Knoten, meist über sieben oder acht.
Auch jetzt ging es mit schnellen, aber fast lautlosen siebeneinhalb Knoten durch die Nacht. Durchs Wasser machten wir wohl nur sechs, den Rest erledigte die Strömung. Der Windmesser zeigte 10,8 Knoten achterlich. Unsere Alytes schlug sich mit neuem Antifouling und unter Genaker großartig. Von El Nino merken wir derzeit nicht viel.
Die Gedanken schweifen in der Nacht besser als am Tag. Die Füße auf der Konsole, den Blick in die Sterne. Die laue Nacht taumelt langsam und butterweich vorbei. Noch ein paar Tage würden wir so segeln, um dann, nach etwa sechs Tagen in San Cristobal den Anker zu werfen.
Die Wachrhythmen sind durch die große Crew außerordentlich human. Wir quatschen und lesen viel. Ostern feiern wir mit angemalten Eiern und einem großen „Kitsch-Turnier“. Hier werden die hartgekochten Eier im Wechsel von den Kontrahenten gegeneinander gehauen. Verlierer ist der, dessen Ei nachher Risse zeigt. Die Bemalungen sind entsprechend etwas offensiv gestaltet.
Mina hat ihre helle Freude.
Am Äquator folgen wir Lucas beknackt-gutem Einfall, über die Linie zu schwimmen. Und weil das nur in Badehose zu langweilig wäre, werden wir – dank unserer Latexhandschuhe – zum ersten Equator – Chicken – Swim – Club der Erde.
Wir schwimmen rüber und feiern dann zünftig die Taufe mit – wie sollte es anders sein – Aquavit. Alles in allem ein großartiger Törn.
Zurück in die Nacht. Die Uhr zeigt schon kurz vor zwölf. Im Spalt der Schiebetür zu „unserem Rumpf“ zeigt sich Licht. Heide macht sich bereits fertig. Schnell die Zeugen meiner Sünden beseitigt und Heide begrüßt.
„Hattest Du eine gute Wache?“
„Joa, prima. Siebeneinhalb Knoten Fahrt über Grund, stabiler scheinbarer Wind mit 11 Knoten von 90° Backbord“.
„Oh cool, dann wird es ja ein Spaß!“
„Das glaube ich auch. Dir eine wunderbare Wache.“
Ein Kuss (mit eingezogener Luft, in der vergeblichen Hoffnung dass sie nichts merkt.
Müde geht es ins Bett; Wenn Heide am Steuer ist, schlafe ich wie ein Baby.
Bücher: Charles Darwin, On the Origin of Species
Musik: Tom Waits, Rain Dogs und Franks Wild Years
Hi Ihr Lieben,
war viel beschäftigt, aber heut endlich wieder auf Eurer Seite. Freue mich sehr, daß es gut läuft, und Ihr weiterhin von so schönen, spannenden und interessanten Erlebnissen berichten könnt. Der Schreibstil versetzt einen fast in die Lage dabei zu sein.
Ich träume davon, alles stehen und liegen zu lassen, um wieder zu Euch an Bord zu kommen 😉 ……….
Euch allen weiterhin viel Glück und Freude.
Euer Ex-McGyver
Ingo
Hallo lieber Ingo,
wir freuen uns sehr, von Dir zu hören!
Wenn Du sagst „beschäftigt“, vermute ich mal 10 Überführungen mit Luxusyachten?
Noch etwa vier Monate, dann schwenken wir in Richung Asien ein. Vielleicht ergibt sich wieder was?
Herzliche Grüße in das schöne Hannover,
Fritze, Heide, Mina
Sagt mal, das ist doch genau das Teil, das uns zwischen Ibiza und dem Festland auf der anderen Seite auch abgerissen ist. Scheint eine Fehlkonstruktion zu sein. Das Plastikding kostet doch nicht wirklich 650 Euro, oder??? Sollen wir mal bei Lagoon in Bordeaux vorbeifahren und ein Dutzend davon rauspressen? Schicken wir dann auf die Marquesas…
Das wäre eine gute Idee! Besser wäre aber noch, wenn wir die Pimpup-my-Lagoon Idee noch weiter ausbauen und weitere coolere Teile kreieren. 😉 Falls Ihr zwischendurch Zeit habt, legt schon mal los! 🙂
Nee, es hat auch eines der Harken Genoa Slide Cars gerissen. Eine der drei Rollen ist rausgesprungen und über Bord katapultiert worden. Der Rest wäre wohl Versand und Steuern gewesen. Aber die Ersatzteilversorgung ist vollkommen Banane.
Herzliche Grüße von Galapagos,
Fritze
Wau! Das war ja echt spannend in Panama! Hey…das Bild mit den Palastikmützenhühnern ist klsse
Ja, die Hühnchen waren super! 🙂