„Clean, unhurried and unspoiled. Pristine living, practically no crime, reefs teeming with fish. Gentle trade winds. People as warm and genuinely friendly as ever.“
– Statia Tourism Foundation
„What the f*#& ?!“
– Alytes Crew upon spotting 12 Oiltankers a mile off our anchorage
Statia, wie Sint Eustasius von den karibischen Liebhabern sprachlicher Effizienz genannt wird, ist mit Land und umgebender See ein Nationalpark. Das hört sich so verlockend an, dass wir der niederländischen Insel ein Besuch abstatten wollen.
Wenn man aber genauer hinsieht, ist die Insel etwas ganz anderes: Ein niederländisches Experiment. Man versucht hier herauszufinden, ob die Gesellschaftsmodelle des holländischen „Goldenen Zeitalters“ noch funktionieren: Kleine Inseln ohne eigene Wertschöpfung erobern und andere gegen Gebühr dort Handel treiben lassen. Dazu ein Schuss Bürokratismus.
Wir laufen Statia also von Süden aus an, nachdem wir uns gegen St. Barth entschieden haben (wir kennen „Manhatten sur Mer“ bereits und uns steht der Sinn nicht nach Models, Abramovitch und Superyachten). Warum Statia?
Die Antillen sind im Grunde ein großes Demonstrationsfeld für kleine Gesellschaften: Einige Inseln sind klassische Kolonien – mit Gouverneur und Scheinparlamenten (etwa Montserrat und die British Virgin Islands). Andere sind seit mehr oder weniger vielen Jahren unabhängig und versuchen allein mit den Eigenheiten einer Inselwirtschaft zurecht zu kommen (Domenica, Haiti, Dom Rep etc.). Wieder andere sind einfach Teil des alten Kolonialstaates geworden (wie Martinique und Guadeloupe) . Mit unterschiedlichem Bindungsgrad. Statia ist Teil der Niederlande. Und nachdem wir mit Guadeloupe und Martinique Frankreich besucht haben, mit Montserrat eine britische Kolonie und mit Dominika eine unabhängige Insel, sind wir nun sehr neugierig, was die Holländer so anfangen, mit ihren alten Eroberungen.
Wir hätten es wissen müssen: Die Niederländer sind pragmatisch. Schön muss es nicht immer sein. Geld sollte es aber schon bringen.
Als wir später von der Insel aufbrechen, haben wir gelernt: Statia ist eine durch eine Unternehmen geführte Insel. Die Firma führt die Administration, die der größte Arbeitgeber der Insel ist, am Nasenring herum. Ein „Nationalpark“ bringt Image, Geld und schafft noch einige weitere Stellen in der ohnehin aufgeblähten Verwaltung.
Aber von Anfang an…
Die Insel und die Gewässer sind also ein Nationalpark. Das hat uns angelockt. Beim Einklarieren zahlt man eine „Environment-Support-Fee“. Vier Dollar pro Nase. Für’s Ankern zahlt man pro Tag zehn. Wer auf der Insel abseits einer Straße wandern will, zahlt weitere Dollars für die „Trail-Badge“. Und wer Tauchen will, zahlt für jeden Tauchgang sechs US Dollar. Was macht man nicht alles für die Umwelt. Wir lasen das alles in unserem Küstenhandbuch und erwarten ein perfekt administriertes Paradies. Sicher würde es genauso wie das wunderbare, aber karibisch chaotische Dominika.
Als wir uns der Insel nähern, wundern wir uns zunächst über die vielen Kontakte am AIS. ES liegen mindestens zwölf Schiffe in der Nähe unseres Ankerplatzes. Sollte Statia nicht recht selten besucht werden? Stimmt. Das gilt aber nur für Yachten. Die Prüfung am AIS zeigt: Es sind alles Öltanker.
Die Realität sieht anders aus. Faktisch kommt das Geld der Insel aus einem Vertrag mit New Star Energy. Ein Fortune 500 Unternehmen aus den USA. Das Unternehmen verdient Geld mit Umschlagplätzen für Öl. Dazu Mischen sie verschiedene Ölsorten direkt vor Ort. Böse Gerüchte werden in den Straßen von Statia geflüstert: Auch flüssiger Sondermüll wird hinzugemischt, um in den Maschinen der Tanker günstig verbrannt zu werden. Sicher alles Spekulation. Venezuela hat ebenfalls gerade bekannt gegeben, die Insel als Ölumschlagplatz zu nutzen. Der auf den Bahamas wird aufgegeben.
Aber wieso wird das hier akzeptiert? Warum stehen die 3400 Insulaner nicht auf und protestieren gegen die Petro-Industrialisierung ihres kleinen Paradieses? Ganz einfach: Gib jedem einen Job in der Verwaltung, und keiner wird gegen die Regierung und deren Deals sprechen.
Funktioniert das? Die Administration ist eher eine ABM-Maßnahme für wenig ausgebildete Insulaner. Effizienz kann man vergessen. Einklarieren funktioniert dann so:
Erst geht es zur Port Authority am Eingang des Hafens. Hier wird die Umwelt-Gebühr kassiert, dann die Hafengebühr. Damit stellt man fest, dass es unser Boot gibt und dass es auch in Statia liegt. Es dauert.
Ich werde zum Zoll geschickt. Dazu muss ich durch das zweiteilige Tor des Hafens. Ein großes Rollgitter und eine Gittertür. Beide sind offen. Niemand ist da, bis auf einer Wärterin. 140 kg Lebendgewicht. Heide und Mina haben längst die Geduld verloren und schauen sich die Hühner vor dem Hafen an.
Ich nehme den kürzesten Weg durch das große Rolltor. Die Matrone warte, bis ich kurz vor der Schwelle ankomme. „Stopp!!“ Ich sehe sie fragend an. „You have to go through this door!“. Freundlich geht anders. Ich sehe mich um. Kein Auto. Keine Schranke. Die Tür ist einfach etwas weiter für mich. Es gibt sonst keinen Unterschied. Ich schicke mich an sie zu ignorieren. „STOOPPP!“. Ich sehe sie wieder an. Sie zeigt tatsächlich mit dem Finger auf den Boden vor sich. Auf die Tür. Ich glaube es nicht. Bevor es einen internationalen Zwischenfall gibt, gehe ich also die zehn Meter zur Tür. Laufe durch und wieder Zehn Meter auf der anderen Seite zurück. Direkt vor dem Tor. Damit ich zum Zoll kann, um Bearbeitungsgebühren zahlen zu können. Sie ist zufrieden. Uniform und Grundschulausbildung. Eine prima Kombination.
Beim Zoll warte ich 10 Minuten, bis eine der vier untätigen Beamten meint, mir seine zwei Formulare zu geben. Sehr netter Typ eigentlich. Denn er war so freundlich auch unsere Pässe zu kopieren. Aber die Unterlagen für „Immigration“ muss ich schon selbst ausfüllen. Computer gibt es nur fürs Surfen der Beamten. Und Kohlepapier ist oldschool. Also selbst mehrfach ran.
Auf dem Rückweg sieht mich die Dicke präventiv strafend an. Ich gehe durch die Tür. Versuche dabei weder laut loszulachen noch meine Selbstachtung zu verlieren. Auf Reisen soll man sich ja nach dem Gastgeberland richten.
Jetzt geht es 200 Meter zur Parkverwaltung. Die Lady ist nett, hat aber erstmal keine Zeit. Surft noch im Internet. Ein Stuhl quietscht nach ein paar Minuten. Sie kommt. Nimmt mir mein Geld ab. „Keep the receipt, you can not clear out without it“. Ich spare mir die Frage, warum nicht alle Büros in einem Haus sind. Warum mir die Hafenbehörde zwar die Umwelt- nicht aber die Parkgebühr abnehmen kann. Oder besser noch, warum nicht eine Person alles erledigen kann. Oder warum es nicht – wie auf den französischen Inseln – einfach am Rechner per Self Service geht und nur noch ein Beamter unterzeichnet. Oder wie in Dominika, wo es auch eine freundliche Beamtin für alle Aktivitäten tut. Schnell und nett.
Aber es geht noch ein wenig weiter. Wir wollen zwei Tage später früh los. Die Bürokratie öffnet eigentlich um 8:00 Uhr. Der Wachmann ist auch schon um 7:55 Uhr da. Ich versuche ein kleines Experiment in Non-Konformismus. Will durch das Rolltor. Keine Chance. Ich muss wieder den schwachsinnigen Umweg durch das Gittertürchen. Aber beim Zoll ist keiner da, der mich ausklarieren würde. Auch um 08:15 noch nicht. Um 8:20 gehe ich. Demonstrativ durch das Tor. Der Wachmann (steht jetzt original auf einem Türmchen der Hafenverwaltung) ruft ärgerlich. Ein kleines Bisschen Selbstachtung kehrt zurück, als ich durch das Tor schreite. Der Rücken streckt sich wieder ein wenig. Mehr noch, als wir ohne Ausklarierungspapiere den Anker heben. Die Idole meiner Früh-Jugend sind zurrück: Beavis und Butthead moshen zu Luftgitarre „Breakin‘ the Lawww!“ In Frankreich (und wir wollen nach St. Martin) waren die Papiere des vorherigen Hafens immer egal.
Dazwischen verleben wir einige schöne Tage auf der Insel. Die Natur ist (auf der Hälfte, die nicht mit Öltanks zugebaut ist) tatsächlich schön. Die Geschichte der Insel ist spannend. Aber Tauchen ist per se teuer (man darf nur mit einer lokalen Tauchschule tauchen, das hilft den Preisen) und wird durch die „Nationalparkgebühr“ pro Tauchgang nochmals „aufgewertet“. Wir laufen also durch Oranjestad. Zu unserer Boje wehen abwechselnd Dieselabgase der Tanker oder Schlepper und die Geräusche der ständig laufenden Bordgeneratoren der Dickschiffe. Die Bugwellen der Tender sorgen dafür, dass die Gläser aus den Schränken fallen. Gemütlich.
Wir gehen abends am Wasser in einem schönen Hotel / Restaurant essen. Wirklich nett: Gutes Essen, verschrobene Live-Musik und netter Manager. Auf die Frage nach den Tankern (heute sind es nur acht) knirscht er mit den Zähnen. Meist seien es mehr. Er verdient sein Geld mit manchmal verwunderten Honeymoonern (die hatten nur Wikipedia und die Sites der Tourismusstiftung gelesen, aber auch mit Conventions und gelegentlich Managern der Öl-Gesellschaften. Geht ja.
Liebe Leser, wer denkt, dass es in Europa unhaltbaren Bürokratismus gibt, der war noch nicht auf Satia. Wo eine Bevölkerung durch Scheinjobs in der Verwaltung gefüttert und still gehalten wird. Natürlich nehmen die Menschen diese Jobs ernst, auch wenn sie vollkommen nutzlos sind. Schließlich tragen sie alle eine Uniform.
In Statia, wo man über den Widerspruch zwischen Nationalpark(-gebühren) und Ölumschlagplatz mit über 13 Mio. Barrel Lagervolumen sowie mindestens 800 Schiffsbewegungen im Jahr höchstens tuschelt (Ok, es gibt eine kleine Gruppe, die sich kritisch zum Thema äussert).Ein wenig wie im Goldenen Zeitalter, als die niederländischen Handelsgesellschaften das Sagen hatten. Heute ist es NuStar Energy…
Touristen, Segler, vergesst Statia. Man hat sich entschieden hier das Geld anders zu verdienen. Schade um die Tauchschulen, schade um die durchaus netten Hotels.
PS: In St. Martin hat man im Büro des Port Fort Luis den normalerweise als Selbstbedienungsladen organisierten Prozess des Einklarierens an ein „Security-Unternehmen“ outgesourced.
Resultat: Das gleiche Computerterminal wird nun von einem bezahlten, uniformierten Mitarbeiter bedient. Es gibt zwar zwei Rechner, aber nur einen Mitarbeiter. Es bilden sich Schlangen. Und weil man sich auch wichtig fühlen muss, hängen Drohungen für alle an der Wand, die keine Papiere haben. Wir haben Glück und quatschen uns durch. Obwohl wir keine Papiere aus Statia haben. Ich wünsche den Franzosen nur, dass sie nicht den holländischen Weg einschlagen…
neun tanker auf einem Foto…! wow. Und ich dachte schon im Anflug auf Singapur, dass es da *sehr* viele sind, die dort ankern…
Vielleicht braucht ihr noch eine zweite Site, die einen offenen robots.txt hat, um googelnde Honeymooner vor Statia zu warnen…;)
Alles gute aus den Subtropen in die Subtropen…!
Hallo Ihr Lieben,
zu lange mußte ich auf einen neuen Bericht von Euch warten, und dann sowas ;-(
Hoffe, daß damit Euer Beitrag an negativen Erfahrungen erfüllt ist, und sich diese Mißstände in der Szene schnell rumsprechen.
Das ist zwar nicht die Lösung des Problems, aber steter Tropfen höhlt den Stein.
Viel Glück für die Weiterreise,
Ingo
Lieber Ingo,
es war natürlich nervig, aber im Grunde nicht so wild. Am Ende waren wir froh, auch diesen Entwurf einer „Inselökonomie“ gesehen zu haben. Aber es tut mir um die Bewohner leid. Für alle, die etwas anderes erwarten und die weniger Zeit als wir haben ist es natürlich extrem nervig. Aber wir treiben neugierig durch die Welt. Manchmal glücklich ohne gleichen, manchmal als Chronisten des Grauens.
Übrigens: Homeland Security in Ponce auf Puerto Rico konnte Beamtennerv noch besser. Dazu aber später mehr.
Beste Grüsse in bester Laune,
Fritze und die Alytes Crew