„Relax, you are not going to die. But you’ll wish that you would“
„If you live thru it, say „Hi!“ to the next Lionfish you spear“
– Treating a Lionfish Sting, Website of Lionfish-Hunters
Kurz vor Weihnachten haben wir die recht volle Bucht vor St. Anne gegen die ca. 17 Seemeilen weiter nordöstlich gelegene Petite Anse d’Arlet eingetauscht. Ein schöner Törn. Hauptsächlich Vorwind. Wir rauschen mit sieben bis acht Knoten am Parasailor dahin.
Sephina ist schon dort, später werden auch noch die Triton und die Vida in den Nähe ankern. Heide probiert ihr neues Stehpaddelbrett aus, wir schnorcheln viel.
Am Morgen nach unserer Ankunft will ich endlich einmal die GoPro ausprobieren, die Heide mir zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ein paar Schnorcheleien filmen. Wir haben alle möglichen Befestigungswerkzeuge, auch eine Art Stirnband. Perfekt zum Tauchen und Schnorcheln. Rein ins warme Nass. Zum kleinen Riff ist es mit etwa 500 Metern recht weit. Der Boden auf dem Weg ist voller Seegras. Unten tummeln sich an vereinzelnden Steinen kleine Papageienfische und auf den Grasflächen schlängeln sich Schlangenaale durch die Halme. Ich schwimme zunächst zu einer Fischerboje auf der Hälfte des Weges. Mal sehen, ob man hier ein paar Langusten oder Kopffüßler filmen kann.
Die Reuse scheint leer zu sein. Direkt daneben einige größere Steine. Und da sehe ich sie. Feuerfische auf acht Meter Tiefe. Pazifische. Sie sind über beknackte Aquarianer und vermutlich Ballasttanks von Schiffen aus dem Stillen Ozean in die Karibik gelangt. Und weil man hier mögliche Räuber – wie die Zackenbarsche – überfischt hat, kann sich der Feuerfisch schnell ausbreiten. Bis zu 60% der kleinen Rifffische fressen ein paar ausgewachsene Exemplare.
Menschen lassen diese bis zu 40 cm großen, eigentlich schönen, Fische in Ruhe. Aber sieh haben diese langen, fächerartigen Rücken- und Brustflossen. Und die sind sehr stachelig und sehr, sehr giftig.
Und sie sind freigegeben für die Jagd mit der Harpune.
Die haben wir nicht an Bord, aber eine „Hawaiian Sling“. Das ist ein Speer mit ordentlichen Widerhaken an der Spitze. Am Ende eine Gummischlaufe. Mit der richtigen Technik und ein wenig Geduld kann man so sehr gut Fische fangen.
Ich tauche also wieder zurück, mit der festen Absicht, etwas für das lokale Ökosystem zu tun. Als Jäger in Deutschland kenne ich ja die nicht immer ganz schlüssige Argumentation von der Hege. Von vielen Jägern schon ernst genommen, von vielen anderen als eher fadenscheinige Ausrede für das legale Ausleben gelegentlich etwas niederer Instinkte. Was mich treibt, will ich gerade nicht analysieren. Statt dessen den Speer rausgeholt und zurück zu den Felsen.
Tatsächlich. Sie sind noch da. Drei mittelgroße Exemplare treiben gerade gemächlich gemeinsam einige kleine, furchtbar wehrlose Fische in die Enge, um sie dann mit ihren „Saugmäulern“ einzusaugen. Einfach weg. Grausame Natur. Da kann nur der Robin Hood der Riffe helfen. Und der ist auch schon zur Stelle. Na wartet, oh Wegelagerer der Meere. Abgetaucht. Acht Meter ist schon ordentlich. Die Brille beschlägt. Das Gummi des Speers ist nicht beherzt genug gespannt. Der erste Versuch geht daneben.
Zurück an der Oberfläche erstmal durchatmen. Unten zuckt der erste Feuerfisch. Der hat gerade wieder einen kleinen, bunten, unschuldigen Fisch eingesaugt. Schnell runter. Das Gummi ist straff gespannt. Die Tauchmaske gut geölt. Da beschlägt nix. Mein Angriffswinkel ist behutsam gewählt, da ich nicht das Riff treffen und beschädigen will. Nah ran (das geht mit dem Speer nicht anders) und zack. Volltreffer. Mit den sechs widerhakenbewährten Spitzen des Speers erwische ich den gemeinen Räuber direkt am Kopf. Der ist sofort tot. Die anderen merken nichts und machen einfach weiter mit der Jagd. Oder Fische sind einfach nicht so mitfühlend und sie denken sich, dass da einer weniger fressen wird. Wer kann das schon wissen?
Der Fang ist, wegen der vielen Widerhaken kaum vom Speer zu nehmen. Also schwimme ich an der Oberfläche ein paar Meter Richtung Boot zurück. Kann ihn ja mal den Mädels zeigen. Auf dem Weg kommen mir allerdings Gedanken zur Sicherheit. Was, wenn sich jemand an den Stacheln sticht? Wäre sicher nicht so gut. Soll ja weh tun. Das hatte ich schon gelesen.
<!– Beginn der idiotischsten Aktion seit Menschengedenken–>
Also versuche ich, den Fisch mit meinen Tauchflossen von den Speerspitzen zu schieben. Die Flossen sind ja geschlossen. Die Füße also gut geschützt.
Hmm, der sitzt aber fest. Und viel Körperspannung hat er auch nicht mehr.
Abgerutscht.
Noch mal ansetzen. Wieder abgerutscht. Mist.
Noch mal. Abrutschen. Dann der Schmerz.
Und die Erkenntnis. Die Flossen sind oben geschlossen. Aber unten, für mich gerade nicht sichtbar, sind sie offen.
Und da hat der tote Geselle mich nun am dicken Onkel erwischt. Fuck, fuck, fuck!
Heiß schießt der Schmerz in den Zeh. Recht lokal. Nix zieht ins Bein.
<–Hier scheint das Hirn wieder zu funktionieren–!>
Ich hatte gelesen, dass der einen nicht umbringt. Wollte aber nun auch nicht irgendwo zwischen Riff und Boot ohnmächtig werden. Oder was sonst noch alles passieren kann. Also mit Ruhe unter schon ziemlichen Schmerzen zum Boot geschwommen. Den Speer schön weit weghalten. Irgendwo ziehe ich die Flosse aus, da der Zeh zu stark schmerzt. Heiß und kalt gleichzeitig. Und dazwischen einfach roher Schmerz.
Mit der Flosse in der Hand werde ich den verdammten Fisch endlich los.
Komme am Boot an. Dort an der Steuerbord-Plattform die Harpune gesichert. Rüber nach Backbord, wo die Badeleiter ist. Tauchmaske abgerissen und hochgeklettert. Ja. Die aufmerksamen Leser fragen sich: Was ist mit der GoPro. Das weiß ich leider auch nicht. Denn der Schmerz ist jetzt so stark, dass ich ohnehin alles nur noch durch einen Nebel wahrnehme. Nass in den Salon gehumpelt. Auf einem Bein die Treppe zu unserer Kajüte. Da liegt noch das iPhone mit ein paar Megabytes Internetvolumen.
Google zeigt mir zu den Stichworten „Lionfish Sting Treatment“ einige Seiten an. Ich vertraue dem Algo blind und klicke auf das erste Ergebnis.
„You Are not going to die“ steht da an erster Stelle. Gut. Sehr gut. Denn es fühlt sich definitiv anders an. Kein Pochen. Eher als würde ein sadistischer Hüne kontinuierlich mit einer heißen Kombizange meinen Zeh platt drücken. Der Schmerz zieht auch ins Zehgelenk. Hardcore.
Weiter im Text: „Even if you experience swelling: Never use ice. You have to put the limb into hot water. As hot as you can bear“.
Darauf wäre ich nun nicht gekommen. Ich hole mit verzerrtem Gesicht einen viel zu kleinen Topf aus der Schublade. Das Wasser rinnt gemächlich aus unserem Hahn. Eine Pfütze stelle ich auf den Gasherd. Bis das heiß wird stelle ich den Zeh auf eine in der Sonne bratende Klampe. Was für ein Schmerz!
Endlich ist das Wasser heiß. Ich humple hin. Finger rein. Geht noch gerade so eben. Kurz hoffe ich, dass die Website kein derber Spaß eines Naturschützers ist. Zeh rein und tatsächlich, es wird sofort etwas besser. Immer noch krass, aber etwas besser. Das Gift soll durch die Hitze denaturiert werden und so seine Wirkung verlieren. Mindestens 30 Minuten soll der Zeh im heißen Wasser bleiben.
Nach dieser ersten Hilfe setze ich einen größeren Topf auf. Da rein passt der ganze Fuß. Im Moment als ich aus dem heißen Wasser bin, steigt der Schmerz wieder. Also schnell wieder zu meiner Pfütze. Und weiterlesen.
„The severe pain can last from a couple of hours to several days. Depending on how many spines you caught and how strong the fish was.“ Und weiter: „If you tolerate over the counter painkillers, now is a good time to take them“. Ok. Die habe ich. Und nicht nur over the counter. Auch verschreibungspflichtig.
Ich fange also mal mit Novalgin an. Runterhumpeln. 40 Tropfen rein. Besser noch fünf oben drauf. Fuß wieder ins Wasser. Der große Topf ist ja jetzt heiß also geht es etwas einfacher. Der Schmerz ist so stark, dass ich kaum noch denken kann. Die Tropfen schmecken zwar schön nach bitterer Medizin, helfen aber auch nach 20 Minuten nicht.
Mittlerweile kommen Heide und Mina zurück und sind reizend. Nach dem verdienten Kopfschütteln setzt Heide immer wieder heißes Wasser auf, was wir über die nächsten zwei bis drei Stunden nachgießen. Inzwischen merke ich, dass man viel besser leiden kann, wenn man Zuschauer hat. Die Schmerzen fühlen sich noch stärker an. Zwischen den zusammengebissenen Zähnen beginne ich über meine Liste der schlimmsten nachzudenken.
Die Liste geht von eins (schwach) bis zehn (hammerhart).
Bienenstich. Klar eine eins. Das ist gar nichts.
Fahrradunfall mit blutigem Gesicht, Naht ohne Betäubung im Krankenaus. Höchstens eine drei. Tut weh, aber Wunden sind berechenbar. Der Schmerz hat da seine Grenzen. Beim Feuerfisch gibt es keine davon.
Da war noch der doppelte Bandscheibenvorfall. OK, das war schon nicht übel. Früher wäre es meine zehn gewesen.
Aber mit ordentlich Voltaren im Griff. Ich habe noch nicht mal krank gefeiert dafür. Auch wenn ich mich schon schwer bemitleidet habe (hey, bin auch nur ein Mann).
Aber diese Erfahrung war neu. Die neue zehn. Definitiv doppelt so stark wie ein Bandscheibenvorfall. Vielleicht brauchte ich gar eine zwölf. Oder eine Art Richterskala, die nicht linear sondern logarithmisch fortschreitet.
Irgendwann wird klar: Novalgin ist der Sache nicht gewachsen. Bei uns in der Bordapotheke ist die nächste Eskalationsstufe Tramadol, ein Opioid.
Auf einem der Schiffe in Rufweite unseres Funkgerätes ist glücklicherweise ein Arzt an Bord. Ich will die Klopper nicht unbedingt ohne Rücksprache kombinieren. Es kommt grünes Licht über Funk. Gleich mal 45 Tropfen direkt auf die Zunge. Novalgin war nun auch schon drei Stunden her. Also auch nochmals rein.
Aber es wurde nicht besser. Immer noch beiße ich die Zähne zusammen, schwitze und krümme mich verstohlen (und versuche dabei ein nettes Gesicht zu machen, um Mina nicht zu erschrecken). Mina ist dabei supersüß und spricht mir gut zu. Wenn sie wüsste, welche Qualen ich gerade durchmache…
Nach fünfundvierzig Minuten nehme ich nochmals 15 Tropfen Tramadol. Das muss doch hinhauen. Denn die nächste Stufe der Schmerzbekämpfung an Bord geht schon in Richtung Vollnarkose. Und das will keiner so recht mitmachen… Und dann, so ganz langsam, zieht sich der Schmerz zurück. Mit dem Opioid kommt auch ein leichter Kopf, vielleicht hilft das ein wenig.
Nach über vier Stunden kann ich den Fuß endlich aus dem 45 Grad warmen Wasser nehmen, ohne gleich Sterne zu sehen. Hart, aber geht. Und nun wird es tatsächlich von Minute zu Minute besser. Ich habe den Eindruck, dass die Schmerzmittel kaum dazu beitragen, sondern dass mein Körper das Gift einfach langsam los wird. Schwer zu sagen.
Die Nacht wird nochmals seltsam. Trotz der Mittel komme ich nicht zur Ruhe, bis 02:00 Uhr. Dann Tiefschlaf.
Am nächsten Tag habe ich nur noch das Gefühl, mir am Vortag einen Splitter in den Fuß gerammt zu haben. Es sind wohl auch keine Fragmente in den Wunden (er hat mich mit zwei Stacheln erwischt) geblieben.
Ich habe zunächst wilde Rachephantasien. Alle Feuerfische in der Bucht müssen sterben. Aber das ist dann doch zu unzivilisiert. Statt dessen haben wir nun eine stattliche Sammlung von Rezepten mit Feuerfisch an Bord.
Liebe stachelbewährte Freunde, wir sehen uns wieder ;-).
Musik: Bitte keine Geräusche
Buch: Meinhard Kohlfahl, Medizin an Bord
Lieber Fritze,
das ist eine klasse und krasse Geschichte, die nur der Mega-Fritze dieser Welt so schön niederschreiben kann. Was für ein Fest. Was hätte ich dafür gegeben, da dabei sein zu dürfen und das Feuer unterm Topf so richtig auflodern zu lassen. Ein echter Feldversuch. Wir wären alle bio-psycho-sozialen Bedingungen des Aktuschmerzes durchgegangen und ich hätte Dich so schamlos genau hinsichtlich Deines somato-sensorischen Profils untersuchen können, wie es im Labor nie möglich ist. Das wäre eine Publikation in NATURE geworden…..What a pitty. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Du am Riff und ich in München….Es wird Zeit, dass wir zusammen diese Abenteuer erleben. Ich glaube Du bist schon gut drauf. Ich mache mich mal reisefertig……mit Beißholz und Keule wird man Dir wohl am ehesten gerecht und kann Dich unterstützen.
Liebe Grüße und besonders liebe Grüße an Heide und Mina für diesen heldenhaften Papa,
Euer Thomas
Ich muss mich nur noch mit Heide und Mina besprechen……
Ja lieben Dank für die Anteilnahme ;-).
Aber ich bin sicher, dass man das Gift prima extrahieren kann. Und dann wäre es ja ein Labor(selbst)versuch wert.
Ich habe natürlich sehr, sehr viel an Dich gedacht. Leider konnte ich mich nicht mehr an die von Dir verwendete Dosis erinnern. 150 mg? Das habe ich mich ohne professionellen Beistand nicht getraut (der Arzt in der Nachbarbucht war Allgemeinmediziner, also für Grenzdosierungen vermutlich nicht der Richtige ;-))-
Ich sehe schon, wie Du bei unserem gemeinsamen Törn mit Fragebogen, Blutdruckmessgerät und Keule um mich schleichst in der Hoffnung gleich eine Versuchsperson zu finden. Die Chancen stehen allerdings nicht schlecht ;-)-
Herzliche Grüße,
Frizte
hahaha very funny Fritze (or maybe it was just the google translate!?
Wenn es nicht im Nachhinein so saudämlich und voller Situationskomik ist, dass mir die Tränen beim Lesen runterlaufen, müsste man sich wirklich Sorgen um Dich machen. Das Thema „Fische“ scheint sich wie ein roter Faden durchzuziehen. Vielleicht schreibst Du ja nach den zwei Jahren ein Buch mit dem Titel „Angeln im Grenzbereich – Wenn Unternehmensberater auf Weltreise gehen“ 😉
LG, Jørn
P.S.: Kommentar Sabine -> „Er kann froh sein, dass er nicht ertrunken ist.“
Das Thema Fische ist wirklich eine Sache für sich. Ich habe auf jeden Fall davon abgesehen, mir eine Harpune zu kaufen. Muss fürchten, dass sie mir ein Oktopus abnimmt um mir damit in den Hintern zu schießen. Eine weitere Eskalation ist wirklich kaum vorstellbar…
Herzliche Grüße an die Familie und einen guten Rutsch,
Fritze
du bist echt ein Spezialist. Bald nennen wir dich Fritze Irwin. gut, dass es so gut ausgegangen ist! bitte keine Experimente mit Stachelrochen…!
Ach der alte Steve. RIP. Der hatte wenigstens keine Schmerzen. Oder nur für kurze Zeit.
Ich hatte mir jedenfalls ein anderes Ende vorgestellt. Obwohl: An irgendwas muss man ja sterben ;-).